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Wirtschaft Neurotische Chefs

Die dunklen Geheimnisse hinter dem Manager-Erfolg

Wirtschaftsreporterin
Prägung im Kindesalter: Ferdinand Porsche (M.) zeigt seinen Enkelkindern Ferdinand Piëch (r.) und Ferdinand Alexander Porsche (l.) 1949 ein Porsche-Modell Prägung im Kindesalter: Ferdinand Porsche (M.) zeigt seinen Enkelkindern Ferdinand Piëch (r.) und Ferdinand Alexander Porsche (l.) 1949 ein Porsche-Modell
Prägung im Kindesalter: Ferdinand Porsche (M.) zeigt seinen Enkelkindern Ferdinand Piëch (r.) und Ferdinand Alexander Porsche (l.) 1949 ein Porsche-Modell
Quelle: Porsche Archiv; Montage Wams
Piëch, Buffett, Maschmeyer – viele Wirtschaftslenker hatten es nicht immer leicht. Psychologen sehen das als Antrieb für ihren Erfolg. Oft liegen die Ursachen schon in der Kindheit.

Ferdinand Piëch weist alle „Hobby-Psychologen“ in die Schranken. „Ich bin nicht durchdrungen von einer Mission, die Größe des Ferdinand Porsche hochzuhalten“, schreibt er in seiner Autobiografie über seinen Großvater, den Porsche-Gründer. Und: „Schon gar nichts kann ich damit anfangen, wenn Kommentatoren mir ,Minderwertigkeitsgefühle‘ anhängen wollen, weil ich den ,dominierenden Großvater’ dauernd im Unterbewusstsein sitzen hätte, was dann wohl logischerweise einen ,tief verwurzelten Komplex’ auslösen müsste.“

Klar ist aber auch: Es war Ferdinand Piëch nicht in die Wiege gelegt, dass ausgerechnet er das unternehmerische Erbe seines Großvaters fortführen sollte. Er, der aus der mütterlichen Linie stammte und anders als seine vier Cousins nicht den berühmten Namen Porsche tragen darf. Er, ein sogenanntes Sandwich-Kind, als drittes von vier Geschwistern geboren.

Ich bin nicht durchdrungen von einer Mission, die Größe des Ferdinand Porsche hochzuhalten
Ferdinand Piëch, in seinem Buch „Auto.Biographie“

Und klar ist auch: Piëch hat das dringende Bedürfnis zu glänzen. Wenn andere seine Leistungen nicht hinreichend oft und deutlich preisen, dann nimmt er das eben selbst in die Hand. Als einen „der flexibelsten und offensivsten unter den Großen seiner Branche“ lässt er sich auf dem Buchrücken seiner „Auto.Biographie“ aus dem Jahr 2002 beschreiben. Auch sei er „einer der interessantesten; bewundert und manchmal gefürchtet“.

Gekränktes Ehrgefühl, fehlende Anerkennung, Liebesentzug, extreme Armut: Die Liste der Umstände ist lang, die Kindern Wunden in die Seele reißen. Viele Betroffene kämpfen ein Leben lang mit den Folgen – von Ängsten, über Bindungsstörungen bis hin zu Depressionen. Manchen allerdings gelingt es, frühe Verletzungen in Antriebsstärke umzumünzen. Sie setzen alles daran, es allen zu zeigen, ganz im Sinne Machiavellis steht Macht für sie über der Moral. Und nicht selten haben sie damit auch Erfolg, beruflich zumindest; dann endet die Karriere in der Chefetage.

Frühe Wunden als Antrieb

Psychologen sprechen von „resilienten Persönlichkeiten“. Ihnen gelingt es trotz Armut, Drogen und Gewalt in ihrer Jugend oder traumatischer Erfahrungen wie Flucht und Kriegsgefangenschaft, mentale Stärke zu entwickeln und später ein erfolgreiches Leben zu führen. Einfache Chefs allerdings werden solche Menschen selten.

Davon ist der Psychologe, Bestsellerautor und Karrierecoach Jürgen Hesse überzeugt. Er hat täglich mit Menschen zu tun, die mit aller Macht nach oben wollen. „Für einige von ihnen sind frühe Wunden ein starker Antrieb“, sagt Hesse. „Sie müssen andere dominieren, um sich vor ihnen zu schützen. Zwischen sich und der Meute brauchen sie eine klare Abgrenzung.“

Warren Buffett hörte als kleiner Junge nie den Satz „Ich liebe dich“. Niemand gab ihm einen Gutenachtkuss. Mutter Leila, eine bildschöne Brünette, war den Kindern gegenüber kalt und grausam. Jederzeit konnte sie explodieren, immer bereit, die Kleinen zu demütigen. „Eine finstere, vermutlich seelisch kranke Frau“, schreibt eine Biografin, die dem späteren Investment-Guru sehr nahegekommen ist.

Warren Buffetts Mutter war zu ihren Kindern kalt
Warren Buffetts Mutter war zu ihren Kindern kalt
Quelle: AP

Der junge Warren blieb ein tief verletztes, kontaktarmes Kind. Er liebte die Zahlen, nicht die Menschen. Und er liebte Aktien. Seinem Vater, dem Börsenmakler, wollte er nacheifern. Und er wollte es besser machen als er, viel besser. Warren Buffet nahm sich vor, reich zu werden.

Erfolgreich sein, koste es, was es wolle, das wollte auch der junge Carsten Maschmeyer. Eine gestrenge Mutter hatte er, berichtet der heutige Milliardär. „Sie hat nie in den Arm genommen, nie gelobt, nur mal, wenn ich ich ’ne gute Note hatte.“ Sie lebten in einem Mutter-Kind-Heim, dann in einer ehemaligen Kaserne für sozial Schwache am Stadtrand. „Ein Zimmer, Kohleofen, meist nur Butterbrot.“

Litt unter seinem grausamen Stiefvater: AWD-Gründer Carsten Maschmeyer
Litt unter seinem grausamen Stiefvater: AWD-Gründer Carsten Maschmeyer
Quelle: picture alliance / dpa
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Grausam wurde es, als der Stiefvater in Maschmeyers Leben trat. Windelweich schlug der ihn, beim kleinsten Fehler, wenn er nur die Milch verschüttete. „Ich weiß nicht, wie oft ich heimlich im Keller hockte, weil ich mich wegen der blauen Flecken nicht in die Schule traute“, erinnerte sich der Unternehmer vor ein paar Jahren in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“. „Heute würde man klar von Missbrauch sprechen.“

„Das sind Getriebene“

Chefs mit tiefen Wunden aus der Kindheit, so Hesse, könnten von Angst gegeißelt sein. Nie wieder wollten sie ohnmächtig sein. Nie wieder zurück in Abhängigkeit und Armut. „Das sind Getriebene“, so Karriere-Coach Hesse. Und ihre Mitarbeiter bekämen das zu spüren. Einige der typischen Neurosen solcher Vorgesetzter hat Hesse gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Christian Schrader schon vor 20 Jahren in einem Buch zusammengetragen.

Die Auflistung bleibt aktuell: Mancher führt aggressiv und autoritär. Andere sind immer auf dem Sprung, gefühlte Konkurrenten zu besiegen und zu dominieren, ob bei der Arbeit, beim Sport oder einfach nur im Gespräch von Mensch zu Mensch. „Ich bin wichtiger als du. Ich bin stärker als du“, heißt die permanente Botschaft. Hesse spricht von einer „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“, die tiefe Selbstzweifel kompensiere.

Ferdinand Piëch kann mit wenigen, süffisanten Sätzen das Karriere-Aus für Topmanager besiegeln. So musste Bernd Pischetsrieder bei Volkswagen seinen Hut nehmen, nachdem Chefkontrolleur Piëch Zweifel angemeldet hatte, dass der Vorstandsvorsitzende noch das Vertrauen des Betriebsrates habe.

Bernd Pischetsrieder und Ferdinand Piëch im Jahr 2004
Bernd Pischetsrieder und Ferdinand Piëch im Jahr 2004
Quelle: picture alliance / AP Photo

Den Anfang vom Ende des Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking wiederum leitete ein „Spiegel“-Interview ein. Gefragt, ob dieser noch sein Vertrauen genieße, antwortete Piëch: „Zurzeit noch.“ Und das fügte er hinzu: „Das ,noch‘ können Sie streichen.“ Ähnlich ergeht es nun dem aktuellen VW-Chef Winterkorn. Von ihm wandte sich Piëch in der vergangenen Woche ab. „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagte er knapp.

Wird Einfluss der Eltern überschätzt?

Dabei kann Ferdinand Piëch durchaus sensibel sein – vor allem, wenn es um ihn selbst geht. In seinen letzten Monaten als VW-Vorstandschef Anfang des Jahrtausends hätte er seine freien Stunden sicher gut mit strategischen Weichenstellungen füllen können. Piëch aber entschied sich für eine ausgiebige Selbstreflexion. Und dafür, sich selbst und seinem Werk ein frühes Denkmal zu setzen. Er arbeitete an seiner Autobiografie, die pünktlich zu seinem Abgang erschien. Auf 287 Seiten dokumentiert er seine Zuneigung zum Automobil – und zu sich selbst.

Martin Winterkorn gewinnt Machtpoker

Vorstandschef Martin Winterkorn bleibt im Amt. Er soll Volkswagen sogar über 2016 hinaus führen. Winterkorn sei der „bestmögliche“ Vorstandschef, stellte das Aufsichtsrats-Präsidium fest.

Quelle: N24

Viel Nachdenken über das eigene Leben: Den Wirtschaftspsychologen Joachim Bohner macht so etwas ganz generell „hellhörig“. Für die Personalberatung Russell Reynolds, eine der größten weltweit, evaluiert Bohner Konzernvorstände und ihren potenziellen Nachwuchs.

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Er kennt die Neurosen der Selbstverliebten und die Risiken, die das für eine ganze Organisation birgt. Und er weiß, dass eine allzu ausgiebige Suche nach Erklärungsmustern in der eigenen Vergangenheit Schattenseiten hat: „Das begrenzt die eigenen Handlungsmöglichkeiten und macht einen Manager zum Getriebenen – nach dem Motto ,Ich kann gar nicht anders.‘“

Als alleiniges Erklärungsmuster für den Erfolg oder Misserfolg von Karrieren allerdings taugt eine Kindheit praktisch ohnehin nie. Davon ist neben dem Psychologen Bohner auch der prominente Management-Coach Reinhard Sprenger überzeugt. „Der Einfluss der Eltern wird dramatisch überschätzt“, sagt Sprenger. „Es gibt viele erfolgreiche Manager mit absolut glücklicher Kindheit. Und es gibt andere, die trotz unglücklicher Kindheit erfolgreich sind.“ Ein Karrieremuster allerdings erkennt Sprenger: Erfolgserlebnisse. „Wer früh spürt, dass sich der eigene Einsatz lohnt, ist motiviert.“

Kinderheim, Sonderschule, Betriebsratschef

Auch ist es nicht so, dass unverhofft Aufgestiegene sich immer und nur egozentrisch in ihrem Erfolg sonnen. Tiemo Kracht, der für die Personalberatung Kienbaum Top-Führungskräfte für Unternehmen gewinnt, kennt die Underdog-Chefs „mit Rasierklingen an den Ellenbogen“, die verbissen und von Abstiegsängsten getrieben durchs Leben gehen. Es gebe aber auch solche, die etwas zurückgeben wollen. „Sie haben die eigenen Erfahrungen umgemünzt in soziale Verantwortung – ob im Führungsverhalten oder im sozialen Engagement.“

Der Betriebsratschef von Porsche, Uwe Hück, ist so jemand. Er wuchs im Kinderheim auf, ging zur Sonderschule – und boxte sich im wahrsten Sinne des Wortes durch. Zunächst als professioneller Thai-Boxer, später als Lackierer und Arbeitnehmervertreter bei der Porsche AG. Heute ist der 1,90-Meter-Mann stellvertretender Aufsichtsratschef des Konzerns. In seiner freien Zeit engagiert er sich in der Jugendhilfe.

Der Porsche-Betriebsratsvorsitzende Uwe Hück (rechts) und der ehemalige Profiboxer Luan Krasniqi. Hück wuchs im Kinderheim auf und war einst professioneller Thai-Boxer
Der Porsche-Betriebsratsvorsitzende Uwe Hück (rechts) und der ehemalige Profiboxer Luan Krasniqi. Hück wuchs im Kinderheim auf und war einst professioneller Thai-Boxer
Quelle: dpa

Auch Rüdiger Grube, Chef der Deutschen Bahn AG und von 320.000 Mitarbeitern weltweit, hat seine Herkunft nicht vergessen. Er setzt sich ein für die Bahnhofsmissionen, kommt immer wieder mit Obdachlosen ins Gespräch. Die Bilder von hungrigen Menschen, die dort anstünden, erinnerten ihn an die eigene Kindheit: „Das Sattwerden, das schiere Überleben war für uns damals oft nicht selbstverständlich.“

Das war es sicherlich auch für seinen Vorgänger, Hartmut Mehdorn, nicht, der als Kleinkind aus Warschau evakuiert wurde. Für einen sanften Führungsstil, besonders gute Zuhörerqualitäten ist der Manager, der zuletzt Chef der Berliner Flughäfen war, dennoch nicht bekannt. Wohl aber für Wutausbrüche und chronisches Misstrauen auch gegenüber engsten Mitarbeitern.

Ex-BER-Chef Hartmut Mehdorn wurde als Kleinkind aus Warschau evakuiert
Ex-BER-Chef Hartmut Mehdorn wurde als Kleinkind aus Warschau evakuiert
Quelle: dpa

Bloß niemandem vertrauen

„Heckenschützen-Syndrom“ nennt Kienbaum-Geschäftsführer Kracht solch ein Verhalten: „Bloß niemandem vertrauen.“ Diese Einstellung könne gefährlich sein für ein Unternehmen, besonders dann, wenn sie von ganz oben, dem Vorstand, vorgelebt werde. „Der Vorstand setzt die Werte und entscheidet über die geistige Verfassung des Unternehmens: Vertrauens- oder Misstrauenskultur“, sagt Kracht. „Zu viel Kontrolle ist der Tod für Kreativität.“

Auf die aber sind Organisationen in Zeiten des schnellen Wandels und des wachsenden Wettbewerbs mehr angewiesen denn je. „Management by Empowerment“ heißt neudeutsch die Strategie, Verantwortung und Entscheidungen an untere Ebenen abzugeben. Neurotische Chefs mit panischer Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust können genau das nicht: Entscheidungen aus der Hand geben.

Wer schlimme Erlebnisse in der Kindheit hatte und es trotzdem nach oben schafft, hat gezeigt, dass er kämpfen kann
Tilman Gerhardt, Personalberater

Über das Wohl und Wehe ganzer Konzerne bestimmt also nicht zuletzt der Charakter ihrer Chefs. Personalberater, die Chefpositionen besetzten, schauen sich deshalb inzwischen nicht nur an, was einer kann. Mehr und mehr rückt in den Fokus, was eine Person leisten könnte. „Potenzial“-Analyse heißt das etwa bei Egon Zehnder.

Und in Tests machen die Berater das Potenzial eines Kandidaten an vier Indikatoren fest: seiner Neugierde, seinem Vermögen, tief in komplexe Themen einzudringen, seiner Kraft, andere Menschen für etwas zu begeistern, und seiner Entschlossenheit – dem Willen also, für sich und eine Sache zu kämpfen.

In dieser Entschlossenheit könnte ein Schlüssel zum Erfolg der „Underdog-Chefs“ liegen, glaubt Zehnder-Partner Tilman Gerhardt. „Wer schlimme Erlebnisse in der Kindheit hatte und es trotzdem nach oben schafft, hat gezeigt, dass er kämpfen kann“, sagt Gerhard. „Das kann für die weitere Karriere entscheidend sein.“

Viele Millionäre hatten miserable Schulnoten

Manchmal sind es offenbar auch die kleinen Defizite, die das Kämpfer-Gen entfachen. So fühlte sich der britische Milliardär und Multiunternehmer Richard Branson als Schüler durch seine Legasthenie gehandicapt – ein Antrieb für ihn, es allen zu zeigen. Mit 16 Jahren gründete ausgerechnet er, der an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet, seinen eigenen Verlag.

Leidet an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche: Milliardär Richard Branson
Leidet an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche: Milliardär Richard Branson
Quelle: Reuters

Eine Studie der britischen Tulip Financial Research aus dem Jahr 2003 fand heraus, dass Selfmade-Millionäre viermal häufiger unter Legasthenie leiden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Viele der 300 analysierten Millionäre hatten miserable Schulnoten und schon allein deshalb eine nicht einfache Kindheit.

Ein weiteres Muster von egomanischen Chefs übrigens ist es, sich immer wieder der eigenen Bedeutung zu versichern. Sie müssten, analysiert Psychologe Bohner, „sichtbare Wirkung erzielen“. „Wenn ich mich nicht mehr als wirkungsvoll und wichtig erfahre, provoziere ich Situationen, in denen ich es wieder bin.“

Selbstverständlich würde kein Berater je über Kunden oder potenzielle Kunden reden. Parallelen zu Ferdinand Piëch, der letzte Woche 78 Jahre alt wurde und sich mit einem einzigen Satz zurück ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit katapultierte, sind rein zufällig.

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